Zurück aus Kasachstan

Beim Malus sieversii, dem Wilden aus den Himmelsbergen/Tienschan

Seit etwa 5 Jahren berate ich ein bis zweimal jährlich Obstbauern im Süden Kasachstans, meist in Sichtweite zu den Himmelsbergen/ Tienschan, ein Gebirge, dass  sich von Südkasachstan und Kirgisistan  bis nach China ausdehnt. Mein östlichster Einsatzort befindet sich unweit der chinesischen Grenze,  keine 100 km von den höchsten Gipfeln des  Tienschan, (Khan Tengry, 7010 m und  Jengish Chokusu, 7439 m)  entfernt. Neben der Beratung der verschiedenen Obstproduzenten nutze ich in der Freizeit die Möglichkeit, in den Tälern und an den Hängen der Tienschan-Gebirgszüge nach Malus sieversii zu forschen.

In diesem Jahr hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, den Garten des Dendrologen und Pomologen Aymak Djangaliev zu besuchen. Der botanische Garten wurde vor 60 Jahren während der Sowjetzeit als Baumschule gegründet mit dem  Ziel, Gehölze anzuziehen, um die alte Hauptstadt  Kasachstans  Almaty, früher Alma Ata (Großvaters Apfel),  zu begrünen. Dazu wurden Baum- und Straucharten aus der ganzen Welt eingeführt und auf dem z.T. kargen Steppenboden  am Fuß des Hochgebirges nachgezogen.

In der Zeit der Sowjetunion war der Pomologe Aymak Djangaliev ( geb. 1913, gest. 2009) über viele Jahre Leiter der Baumschule.  Sein Interesse galt nicht nur den Gehölzen aus fernen Ländern, sondern auch und vor allem der heimischen Flora. Und so wurde der wilde Apfel aus den Gebirgstälern des Altai, des Alatau, des Karatau und des Tienschan bald zu einem seiner Forschungsschwerpunkte. Dies vor allem nach Ende der Sowjetunion 1992.  Nach der Schließung der Baumschule wurde das Parkgelände von 160 ha umgestaltet in ein Arboretum und für die Öffentlichkeit als Dendropark/Arboretum zugänglich gemacht.

Der Park liegt etwa 50 km nördlich von Almaty in Aktogai, etwa 700-800 m über NN in der Steppe. Die Skyline des  Tienschan/Alatau  bietet an diesem sonnigen Wintertag  mit seinen über 4000 m hohen verschneiten Gipfeln einen majestätischen Hintergrund.

 

Im Park

Extra für unseren Besuch  mit dem PKW sind einige Parkwege geräumt worden. Besonders reizvoll ist die Anordnung der Arten im Park: sie stehen zu jeweils 10 bis 20 Bäumen bzw. Sträuchern einer Art in kleinen, voneinander getrennten Hainen zusammen,  mal locker mal dichter gepflanzt und sind jetzt, Mitte Februar 2018 von hoch verschneiten Freiflächen umgeben. 

Am Rande der Baumvielfalt sind die Obstgärten,  Apfelbäume und -sträucher , im Gegensatz zum Inneren des Parks in Reih und Glied angeordnet. Und hier ist auch das Quartier mit den verschiedenen Typen des Malus sieversii zu finden, starkwüchsige Buschbäume in einem sehr gepflegten Zustand - ein Vermächtnis von Djangaliev.

Unsere kleine Besuchergruppe am 16. Februar 2018 besteht aus den Personen: Sergej Nikolaewitsch, Professor des Agrarinstituts und Leiter der Obstabteilung der Universität Almaty,  Kaliakhat Uksumbaev, Direktor der Obstproduktionsprojekte der Raimbek Holding  in Uigurien unweit der chinesischen Grenze, Eugen Vlassow, Dolmetscher und ich. Wir arbeiten seit dem Frühjahr 2017 zusammen am Thema  Obstproduktion in Südkasachstan.

In dem Parkgebäude  mit einem kleinen Forschungslabor sitzen wir mit dem Leiter  Professor Apuschev Amangeldy Kairbekowitsch  am gedeckten Tisch, trinken ein Glas Rotwein und beobachten eine Angestellte, die eine Plastiktüte mit Obst auf den Tisch legt. „Jetzt wollen wir  einen besonderen „Sievers“ aus dem Winterlager probieren“. Der Chef, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften schneidet einen der mittelgroßen, kräftig rotgestreiften Äpfel mit tief eingesenkter Kelchgrube in Stücke. Wir greifen zu.

Ich habe schon die unterschiedlichsten Malus sieversii- Früchte  in den Tälern des Tienschan direkt vom Baum gegessen, aber dieser Apfel stellt alle Vorgänger  in den Schatten. Er hat alles, was ein guter Tafelapfel braucht: Süße, Säure, gute Konsistenz, weiche Schale, Duft,  Aroma und Lagerfähigkeit.  Professor Apuschev zeigt uns anschließend Fotos von der beeindruckenden Vielfalt der Sieversii- Äpfel aus der Sammlung Aymak Djangalievs.

 

Woher kommt die Bezeichnung Malus sieversii, oder auch Sievers-Apfel, wie er bei den Einheimischen heißt?

Wasili Sievers, deutscher Herkunft, lebte zu Anfang des 19. Jahrhunderts als Apothekenangestellter in Omsk/Sibirien. Botanisch interessiert, reiste er durchs Land, vor allem ins Altaigebirge, wo er große Bestände der Bergäpfel fand, die sich von anderen Wildäpfeln der Region unterschieden. Vor allem die  Ähnlichkeit mit unserem Hausapfel „Malus X domestica“ machten Sievers neugierig.  Um 1830 beschrieb Ledebour, Botaniker und ebenfalls deutschen Ursprungs,  den Apfel morphologisch. Er  erkannte ihn als eine eigene Art und benannte ihn nach seinem Finder Sievers. Für einen genetischen Nachweis  über die enge Verwandtschaft zum Hausapfel war  es zu früh. Den gab es erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts: Malus sieversii -  eine eigene Art und deutlich der Stammvater unseres Hausapfels.

In einem Gewächshaus gehen gerade „Sievers - Saaten“ auf, und in einer Wärmekammer wachsen in Reagenzgläsern Sievers- Meristem-Kulturen heran, sozusagen Zellkerne von selektierten Wilden.  Hier nur von denen, die  für den Erwerbsobstanbau geeignet erscheinen.  Auf  Agar-Agar-Nährboden bilden sich dichte  Rasen von Jungpflanzen mit eigenen Wurzeln. So muss keine Veredlung stattfinden.  Von einer Wildpflanze lassen sich Tausende von genetisch identischen Nachkommen  (Klone) heranziehen. Eigenartigerweise wurde im Institut  nicht über Sortennamen gesprochen, obwohl dafür der Moment gekommen ist.  Es existieren im Moment nur „Arbeitsnamen“, die weniger die Frucht, sondern  ihre Kerne beschreiben. Die von uns  probierte Sorte ist der „ srendeplodnoe“, der mittelgrosse Kern. Eine weitere Sorte in der Vermehrung ist der „selenoplodnoe“, der eher grünsamige Kern.

Auf die Frage, warum Jungpflanzen  in so großen Mengen produziert würden, sagt Professor Kairbekowitsch, dass der Wildapfel, der  in der Sowjetzeit ein Schattendasein führte, inzwischen für den Obstanbau interessant würde. Obstbauern aus dem Süden Kasachstans hätten die ersten „Sievers-Kontingente“  bestellt. Die Vorteile gegenüber den Standardsorten des Malus X domestica in Kasachstan seien nicht zu übersehen, vor allem in Bezug auf Krankheitsresistenz. „Der Wilde zeichnet sich durch positive Eigenschaften aus: Bescheidenheit,  Robustheit und Fruchtqualität. Das lässt hoffen, dass wir neue Wege gehen können“.

Meine Ausführungen zum Thema  Apfelallergie in Europa und die positiven Testergebnisse zum Polyphenolgehalt von Früchten aus dem Aksu-Zhabagly- Naturreservat in der westlichen Kirgisenkette,  lässt die Augen des Professors  aufleuchten.  Er habe geahnt, dass Malus sieversii noch weitere Vorteile in sich berge. Allerdings habe er von einer Apfelunverträglichkeit in Kasachstan noch nie etwas gehört.

Bevor wir uns verabschieden, verabreden wir für die Zukunft eine Kooperation in Sachen „Malus sieversii“ . Beteiligte des Projektes werden sein: Die Universität Almaty, das Dendropark-Institut  Aktogai, Alma-Prodex von der Raimbek-Holding, der BUND Lemgo mit Willi Hennebrueder in Zusammenarbeit mit der Charité in Berlin und das Pomarium Anglicum in Sörup. Unter den Themengärten im  Pomarium wird demnächst ein Sievers-Garten entstehen.

Die staatlichen Förderungen des Dendroparks und des Instituts wurden vor Jahren weitestgehend eingestellt, so dass heute Baumproduktion und -verkauf, auch anderen Gehölzarten den größten der Betriebskosten decken müssen. Für ein zukünftiges MS-Projekt muss deshalb  die Möglichkeit einer externen Förderung geprüft werden.

Besuch der Apfelwälder

Zum  Ende meines Aufenthaltes in Almaty  ist  ein Ausflug in die Datscha von Sergej Nikolaievitsch, dem Professor  der Universiät in Almaty  vorgesehen.  In den Bergen südlich der alten Hauptstadt liegt das berühmte Eisstadion Medeo und weiter oben, mit einer modernen Kabinenseilbahn erreichbar, befinden sich an den Hängen der Dreitausender Kette die bekannten Skipisten von Shymbulak. 

Mehrere Flusstäler reichen in südlicher Richtung weit in die Bergwelt des Ile-Alatau. Eines dieser Täler ist die Zhamansay-Schlucht mit seinen Apfelwäldern. Und mitten in einem dieser Wälder, in etwa 1500 m Höhe, ist die Datscha des 63 jährigen Professors.

Die Straße nach oben ist zunächst noch vom Schnee geräumt. Das ändert sich bald, und die Fahrt wird zu einer Rutschpartie auf den  in den Steilhang gefrästen schmalen Wegen. Die Begegnung mit einem entgegenkommenden PKW würde hier zum Albtraum.   Bald beugen sich die Äste der Malus sieversii-Bäume  über den Weg, lassen noch weniger Platz für den vollbesetzten Off Road-Pkw. Der Professor auf dem Beifahrersitz vorne beschreibt mir, nicht ohne Stolz, jeweils die Früchte der jetzt kahlen Gehölze. Der eine habe kleine rote, der nächste größere Früchte mit einer kräftig goldgelben Grundfarbe. Die Äpfel des nächsten wilden Buschs seien hochgebaut und blieben immer grün, usw. Er kennt sie alle.

Die Datscha liegt am oberen Rand eines vom Professor angelegten etwa 15jährigen Obstgartens mit Apfelsorten wie Jonagold,  Jonagored, Golden Delicious, Aport, und einigen interessanten Birnensorten am steilen Hang. Die letzten 100 m müssen wir zu Fuß durch den tiefen Schnee stapfen, um die Hütte zu erreichen. Rund um den Garten drängen sich u.a. die knorrigen wilden Apfelbäume, z.T. mehr als hundert Jahre alt.

In der unbeheizten, einfach aber gemütlich eingerichteten Hütte  warten Proben von Apfelwein, Cidre, Cognac und nicht zuletzt Whisky und Wodka auf uns, verbunden mit einer deftigen Brotzeit. In dieser Situation sind die Getränke eine  echte Alternative zu der fehlenden Heizung. Der Körper, bzw. die kalten Füße „tauen“ unter den  vielen „Prosts“ schnell auf. Unser Gespräch dreht sich dabei  um Obst, um die wilden Sträucher hier oben an den Hängen, wobei neben den vielen Äpfeln auch kleine schmackhafte Wildaprikosen und Wildpflaumen beschrieben werden.

Im Keller der Datscha befindet sich das Obstlager mit noch gefüllten Apfelkisten,  aber auch eine Kiste mit goldroten schmackhaften Winterbirnen, eine aus Kirgisien stammende Sorte, die jetzt Mitte Februar  ihre Genussreife erreicht hat.

Erst gegen Abend geht es wieder zurück durch das enge Tal hinunter nach Almaty und schon wenige Stunden später sitze ich im Flugzeug zurück nach Deutschland.