Die Sortensammlung "Pomarium Anglicum" in Winderatt

Mitten in Angeln, Deutschlands nordöstlichstem Zipfel in leicht hügeliger Grundmoränenlandschaft befindet sich das Pomarium in Winderatt. Von hier sollen die Angeln und die Sachsen im 4. bis 5. Jahrhundert n. Chr. nach England ausgewandert sein. Gut 700 verschiedene Apfelsorten, ca. 130 Birnensorten, dazu Steinobst und Mispeln gedeihen hier geschützt hinter Knicks auf einer ehemaligen Hauskoppel, auf der früher Kälber weideten.


Wie in einer Arche sammelt Meinolf Hammerschmidt hier alte Obstsorten. Angefangen hat alles mit einem Angelner Herrenapfel, von dem es weit und breit nur einen ca. 150 Jahre alten Baum gab. Inzwischen hat er viele junge Bäume dieses sehr wohlschmeckenden duftenden Apfels "unter die Leute gebracht". Viele andere, selten gewordene oder fast vergessene Apfelsorten wie der "Schaalbyer Rosen", "Prinzenapfel" oder "Zwiebelborsdodrfer" haben hier wieder ihren Platz gefunden.

"Annelieses Wilder" ist vermutlich irgendwo im Knick aus einem weggeworfenen Kernhaus gewachsen. Nach Personen oder Familien sind auch der "Jessenapfel", "Gretapfel", "Iversenapfel" oder "Johannsens Roter Herbstapfel" benannt. Der letztgenannte, ein köstlich saftiger Tafelapfel, ließ sich unter diesem Namen nur schwer vermarkten und wurde von den klugen Vierländer Bauern oder der anspruchsvollen Hamburger Kundschaft kurzum in "Ruhm von Kirchwerder" umbenannt.
Viele Sorten kamen in früheren Jahrhunderten aus anderen Regionen in den Norden, wie man unschwer an ihren Namen erkennen kann. Da gibt es die vielen "Schöner von": "Pontoise" (Frankreich), "Boskoop", (Holland), "Bath" (England), "Herrnhut" (Sachsen). Wenn die Aussprache schwierig wurde, passte man sie der jeweiligen Region und ihrer Mundart einfach an: Aus der hervorragenden kleinen Tafelbirne "Beurré Gris"(Graue Butterbirne) wurde "Grisbirne", "Gute Graue" und "Grauchen".

Innerhalb einer oder vielleicht zweier Generationen hat sich ein merklicher Wandel vollzogen von der Selbstversorgung mit vielen verschiedenen Obstsorten hin zum ausschließlichen Konsum von wenigen "Supermarktsorten" (Golden Delicious, Granny Smith, Elstar)

Dem globalisierten Menschen ist das Gefühl für Jahres(Lebens)rhythmen verloren gegangen: Er kann im Winter in warme Länder fliegen und Tulpen, Flieder und Grüne Bohnen auch zu Weihnachten kaufen. Da frische Äpfel das ganze Jahr verfügbar sind, stimmt es nicht mehr, dass "alles seine Zeit hat". Die Freude über den ersten halbreifen vielleicht wurmstichigen Augustapfel "Schöner von Bath" oder "Roter Astrachan" oder auch "Weißer Klarapfel" ist abhanden gekommen. Ein runzliger oder gar mehliger Apfel wird als ebenso wertlos und überflüssig empfunden wie das menschliche Altern. Dabei schmeckt ein "Finkenwerder Herbstprinz" oder "Weißer Winterglockenapfel" erst richtig, wenn er runzlig ist.

Die Verwendung von Äpfeln und Birnen war früher differenziert und vielseitig: "Jakob Lebel" und "Schöner von Boskoop" waren wichtig zum Kuchen backen, für die Herstellung von Apfelmus, letzterer auch als Bratapfel, Der "Angelner Borsdorfer" blieb auch nach dem Einkochen noch fest und weiß und war somit Kompott geeignet. "Süderhex" wurde in Angeln zusammen mit der Leber gebraten und die Weihnachtsgans mit "Borsdorfer Renetten" gefüllt.
Auch hatte jede Region ihren Weihnachtsapfel, z. B. den "Purpurroten Cousinot" in Nordeutschland oder die "Rote Sternrenette" in Westfalen, der "Rote Pison" in Nordschleswig heißt in Südschleswig Püsson. ".("Pison" ist die verdeutschte Form von "Pigeon", Taubenapfel. In Südjütland wurde daraus "Püsson".) Blank poliert hingen sie leuchtend rot am Weihnachtsbaum oder lagen auf dem Teller und verströmten Weihnachtsduft.

Im Sommer und Herbst, wenn die Früchte im Laub verführerisch leuchten, ist das lebende Obstmuseum "Pomarium Anglicum" für die Öffentlichkeit geöffnet . Bei den Führungen werden zu vielen Sorten Geschichten oder Anekdoten über die Herkunft des Apfels oder des Namens erzählt, z.B die Geschichte von "Stina Lohmann". Dieser feste süß-säuerliche Apfel wurde nach einer Frau aus Kellinghusen benannt, die Ende des 19. Jahrhunderts noch im Frühjahr Äpfel an Kinder und Bedürftige verschenken konnte, wenn alle anderen Äpfel schon längst verrottet waren. Nach jeder Führung wird ein vielfältiges Obstbuffet angeboten und überrascht die Besucher mit dem unterschiedlichen Geschmack der Früchte. So mancher findet so seinen Kindheitsapfel wieder, wenn Duft und Geschmack alte Erinnerungen wachrufen.

Der europäische Apfel "Malus x domestica", stammt aus China. Von dort kommt der noch in den Wäldern wachsende Wildapfel Malus sieversii, der Ursprung unseres Apfels, der vor mehr als 4000 Jahren seine Reise über die Seidenstraße nach Kleinasien und Europa antrat. Weitere chinesische Wildapfelarten sind in einem Teil des Sortengarten zusammen gepflanzt, die vom Blatt so unterschiedlich sind, dass sie kaum dem Apfel zuzuordnen sind. Der europäische Wildapfel Malus sylvestris ist in mehreren Typen vorhanden.
In Europa ist der Apfel vor allem in Klöstern und Herrschaftsgärten vermehrt, veredelt und verehrt worden. Seine kulturhistorische Bedeutung schlägt sich in allen Bereichen der Kunst, Philosophie und Mythologie nieder. Das Obstmuseum geht darauf ein, will die alten Obstsorten mit ihrer genetischen Vielfalt im lebenden Sortengarten für die Zukunft erhalten und nicht in Genbanken.


Seit 2008 sind neu angelegte Themengärten, z.B. das Obst im Barock- und im Klostergarten für die Öffentlichkeit zugänglich. Für Gruppen ab 15 Personen bieten wir Extra-Führungen an. Achten Sie auf die Veröffentlichungen.